Wenn möglich, bitte wenden.

Raus aus der Sackgasse (des Lebens)

Neulich auf der Alm:
Hinter mir lag ein filmreifer Aufstieg. Ich hatte das Wandern wieder für mich entdeckt – allerdings ohne meine Kondition. Keuchend hatte ich mich den bewaldeten Berg hinaufgekämpft, welchen manch anderer allerhöchstens liebevoll als ›Hügelchen‹ titulieren würde. Auch mein Hund hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihn meine ›Performance‹ amüsierte. Vor, zurück, vor, zurück, vor, zurück. Wie ein junger Gott war er mühelos die seitlichen steilen Berghänge rauf und runter gesprungen, um mir zu demonstrieren, wie anspruchslos dieser herkömmliche Wanderweg doch für ihn war – und welche Figur ich im Vergleich zu ihm abgegeben haben musste.
Mistkerl. Und so einen füttere ich durchs Leben!

Oben angekommen, genoss ich die Aussicht auf viele weitere umliegende Berge, ließ mir die Spätsommersonne auf den verschwitzten Schädel scheinen und trank DAS isotonische Getränk aller Gipfelstürmer: Weißbier. Ich schwebte in dem Moment über den Dingen (was sicherlich auch am Alkohol auf nüchternen Magen lag) und genoss den Augenblick.

Welch ein Geschenk, dieses Leben!

Direkt hinter mir am Tisch ließ sich dann ein Grüppchen nieder, das aus einer Frau und zwei Männern bestand. Ich wurde Ohrenzeugin deren Unterhaltung, die der Auslöser für diesen Beitrag war. Meinen herzlichen Dank an dieser Stelle unbekannterweise an die anonymen Impulsgeber!
Der Titel des Gesprächs hätte in etwa so lauten können:

Gefangen in der Sackgasse

Einer der Männer stand – oder steht höchstwahrscheinlich immer noch – an einem Wendepunkt in seinem Leben. Ein flüchtiger Blick ließ mich ihn auf Mitte fünfzig schätzen. Seine Begleitpersonen waren etwas jünger und fungierten an diesem Tag als Zuhörer und Ratgeber. Er strauchelte, sowohl im Job als auch privat. Bleiben wollte er in beiden Bereichen nicht mehr, aber zum Gehen fehlte ihm die Sicherheit für das, was wohl danach sein würde. Die Angst vor dem Unbekannten versperrte ihm den Blick für das Mögliche, denn was im Laufe der Unterhaltung an dem Tisch hinter mir passierte, war Folgendes:
Vergangenheiten wurden aufgewärmt, Was-wäre-wenn-Szenarien aufgetischt und auf unverdauten Ereignissen herumgekaut, ohne dabei jedoch einen einzigen Nährstoff daraus für seine ausgehungerte Seele zu ziehen. In unserer vernunftorientierten Gesellschaft ist aber genau das die gängige Praxis in der Rezeptküche des Lebens. Menschen verlieren sich in Hypothesen und imaginären Situationen, um zu einer – angeblich ihrer – richtigen Entscheidung zu finden. Wurde schließlich zuvor alles genau bewertet und abgewogen.

Einmal ›Stiftung Warentest fürs Leben‹ bitte!

Letztendlich entscheiden wir uns dann für die Dinge, die wir bereits kennen und die gesellschaftlich akzeptiert sind – und ›weil-man-das-halt-so-macht‹. Damit am Ende alle zufrieden und rundum glücklich sind. Nur man selbst nicht. Weil wir einen der wichtigsten Schritte dabei vergessen:
Unseren lebenslangen, geistigen Lernprozess.
Ab einem bestimmten Alter glauben wir, damit abgeschlossen zu haben. Fachlich qualifizieren wir uns bereitwillig laufend weiter für Jobs und Positionen und schmücken uns mit Titeln und Zertifikaten. Kosten darf es, was es wolle, dann tut es wenigsten finanziell weh. Und wenn es schmerzt, muss es schließlich was bringen. Nicht?
Dann trainieren wir zusätzlich noch mechanisch Achtsamkeitstechniken, erlernen dabei lauthals das Ein-und Ausatmen wieder und räumen in unserem Kleiderschrank ein Fach für die neuste Yoga-Mode frei.

Warum?

Um uns besser durch den gleichbleibend stressigen Alltag und die Querelen des Lebens zu manövrieren, gefangen in Lebenskonzepten, die uns auslaugen, umzingelt von Modellen, die uns desillusionieren und eingerostet in Glaubenssätzen, die uns behindern.  Anstatt uns ein Umfeld zu (er)schaffen, das uns dazu inspirieret, die Dinge neu zu denken, wägen wir uns in der Sicherheit des Gewohnten und akzeptieren die Grenzen des Alteingesessenen.

Weil wir es zulassen, dass die Angst vor dem Neuen unsere Sehnsucht nach Veränderung besiegt

Was aber, wenn es genau das ist, was das Leben ausmacht? Das Erkunden und Ausprobieren – der Prozess – und nicht das vorhersehbare Endergebnis?

Was, wenn wir den Weg – unseren eigenen Weg mit all seinen Baustellen und Wendepunkten – tatsächlich zum Ziel machen?

Was, wenn wir uns darauf einlassen, dass unsere einzige Verlässlichkeit genau dort liegt, wo wir immer und zu jeder Zeit auf sie zugreifen können: in uns selbst?

Was, wenn wir den Menschen und Dingen die Macht entziehen, die sie angeblich über uns besitzen, und sie auf uns selbst übertragen?

Was wäre, wenn wir uns selbst er-lebten?

Gerne und unbedingt absolut achtsam. Auch mit der richtigen Atemtechnik. Und im schicken Yoga-Outfit. Aber in unserer persönlichen Mitte.

Was, wenn wir ›ja‹ zu uns selbst sagen?

Die gute Nachricht: Unser Gehirn ist von Natur aus dazu bestimmt, sich zu verändern. Es besitzt die wundervolle Eigenschaft der sogenannten Neuroplastizität. Wir haben tatsächlich die Möglichkeit, alte Erinnerungen neu zu erschaffen. Wir können sogar neue Erlebnisse ganz bewusst so in unserem Gehirn abspeichern, dass wir es dabei umformen. Äußerlich bleibt es weiterhin grau und gallertartig – aber was tief in den innersten Schaltkreisen passiert, können wir aktiv durch unseren Geist beeinflussen und verändern.
Ist das nicht abgefahren?
Das bedeutet nämlich, dass selbst eine Sackgasse zur willkommenen Abwechslung im alltäglichen Routenplaner unseres Lebens werden kann. Weil sie uns eine Chance liefert, mal eine Pause einzulegen, zu reflektieren und zu überlegen, wie wir da wieder rauskommen.
Wenn wir uns dafür entscheiden.
Wenn wir uns für uns entscheiden.
Für unser persönliches Glück.
Und die Eigenverantwortung, die wir ganz allein dafür tragen.
Die schlechte Nachricht?

Wer gegen sich und seine Natur lebt, leidet

Psychisches Leid erzeugt körperlichen Schmerz. Das ist weder esoterisch noch philosophisch, sondern empirisch belegt, es gibt sogar wissenschaftliche Studien dazu. Warum also sich selbst (un)bewusst langfristig Schaden zufügen?
Das hätte ich zu gerne den Herrn direkt gefragt, dort oben auf der Alm, und wer mich ein bisschen besser kennt, weiß, dass ich durchaus kurz davor war, in an seinen Schultern zu packen, ordentlich durchzuschütteln und zu sagen: »Sieh dich doch mal um. Hier und jetzt. Genau da, wo du gerade bist. Und horch doch mal in dich rein, anstatt immer im Außen unterwegs zu sein und zu überlegen: Was sagen jene oder welche, wie wird wohl XY darauf reagieren und was kommt danach und wie wird es weitergehen? Damit erschaffst du dir deine Sackgasse doch selbst, wahrscheinlich wohnst du sogar in einer!“
Stattdessen packte ich meine sieben Sachen, inklusive meines nach Kuhscheiße stinkenden Hundes (er hatte sich zwischenzeitlich eine Kuhfladenpackung gegönnt) und machte mich auf den Weg zurück ins Tal. Dabei überlegte ich, welchen Nutzen ich aus dem von mir belauschten Gespräch ziehen will.
Ich glaube ja nicht an Zufälle im Leben. Alles ergibt immer einen Sinn und fügt sich, früher oder später, auch wenn wir es gerade in der Situation nicht erkennen oder wahrhaben wollen. Also hieß es für mich wieder:

Hausaufgaben machen

Fazit: Es müssen nicht immer die ganz großen Umwälzungen im Leben sein, wie bei dem Alm-Herren. Oft sind es ein leises Flüstern, der bittere Beigeschmack oder das komische Gefühl im Bauch, die in bestimmten Situationen in uns aufkommen und die wir unterdrücken. Sie sind die Vorboten davon, dass etwas für uns persönlich nicht stimmt, auch wenn von außen betrachtet doch alles passt. Je länger wir sie aber ignorieren, desto mehr gären sie in uns und richten dort einen ordentlichen Schaden an, der früher oder später äußerlich in Erscheinung treten wird. Das weiß ich aus eigener Erfahrung und habe es am eigenen Leib erlebt.
Also schreibe ich über mein Erlebnis auf der Alm, um Dich dazu anzuregen, auf Dich zu achten und vor allem: Deiner Intuition zu vertrauen. Die wird uns hierzulande leider aberzogen, kann aber wiedererlangt werden.

Dazu schenke ich Dir die folgenden 3 kleinen Fragen, die Du dir immer wieder stellen darfst:

Will ich das hier gerade – wirklich?

Was nehme ich in diesem Moment in mir/meinem Körper wahr?

Sorge ich gerade gut genug für mich?

Viel Spaß beim Ausprobieren!

Herzlichst, Deine

AVA

Photo by Jonathan Farber on Unsplash

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