Meditation am Strand

Lebenslang? Mit Fragezeichen

Die erste Leseprobe aus der Fortsetzung von ›Schwanger! Mit Ausrufezeichen‹

Karin steckt fest. Zwischen Kindergarten- und Reihenhausalltag fristet sie genau das Dasein, das sie nie wollte: Vorstadthausfrau in Vollzeit.
Doch dann reißt sie ein Schicksalsschlag aus ihrer verhassten Routine und katapultiert sie gemeinsam mit ihren besten Freunden Sabine, Charlie und Fredi auf ein einsames Inselresort mitten im Indischen Ozean.
Dort verlangt eine Ayurveda-Kur dem Quartett so einiges ab. Das Ausreinigungsprogramm samt Alkoholverbot legt die Nerven aller blank und dann soll sie auch noch gleich zu Tagesbeginn auf nüchternen Magen und unter Anleitung MEDITIEREN?

Ob und wie das für unsere liebe Karin ohne -t funktionieret … here we go:

Aus Kapitel 6

(…) Wie ein Dackel trotte ich hinter Charlie her, ohne genau zu wissen, wo sie mich hinführt. Meinen Therapieplan habe ich natürlich auf dem Zimmer liegen lassen.
Ob sie wohl auch eine geheime Mission für mich hat? Und wenn ja, welche?
Wir biegen vom Strand ab auf einen Holzsteg, der weit aufs Wasser hinausführt und an dessen Ende eine Art Zeltdach aufgebaut ist, unter dem sich ein paar Gestalten im Schatten tummeln. Der Gruppe zugewandt hockt eine Frau bereits im Schneidersitz. Ihre Beine stecken in buntgemusterten Yogahosen und über ihrem durchtrainierten Oberkörper spannt ein weißes Tanktop. Sie scheint bereits länger auf der Insel zu leben, denn ihr Teint schimmert in Bronze. Die dunkelblonden, mittellangen Haare hält ein Stirnband zurück. Ich schätze sie auf Anfang bis Mitte vierzig.

Die letzten beiden freien Matten sind für Charlie und mich reserviert. Der Gebatikte ist auch anwesend. Er trägt heute einen safrangelben Kaftan und seine Matte liegt direkt neben meiner.

Hoffentlich trägt er was drunter!

Als ich versuche, mich in den Schneidersitz fallen zu lassen, verfluche ich meine Nachlässigkeit, denn hätte ich einen Blick auf meinen Therapieplan geworfen, wäre mir klar gewesen, dass eine knappe Jeanshort für den heutigen Tag ein absoluter Fehlgriff ist. Es zwickt an Bauch und Schenkeln. Die anderen haben das Problem nicht, die kennen ihre Agenda. Sobald alle gleich die Augen zu haben, muss ich schnell meinen Hosenknopf öffnen, sonst halte ich das nicht aus. 

»Namaste und herzlich willkommen. Ich bin die Mechthild und leite dich durch deine Morgenmeditation.« 

Mechthild. Aha. Das passt ja. 

»Begebe dich in eine bequeme Sitzposition.« 

Geht nicht. Es zwickt. Verdammter Mist! 

»Und schließe deine Augen.« 

Na endlich! Augen auf, guckt auch keiner? Natürlich nicht. Die machen alles, was Mechthild sagt. Jetzt schnell den Knopf auf, bevor das einer mitbekommt. Ah, schon viel besser. 

»Atme nun über deine Nase tief in den Bauch ein …« 

Na toll! Dafür muss ich den zweiten Knopf auch noch aufmachen. Augen schnell wieder auf und sichergehen, dass keiner schaut. Gut. Knopf schnell auf. Oh, tut das gut.

»… und über den Mund wieder aus. Lass die Luft dabei kräftig ausströmen.«

Oh nein! Die fangen alle an zu schnauben wie die Walrösser.

»Nimm dich und deine Umgebung wahr …« 

Mehr als mir lieb ist!

»… und achte darauf, ob du vielleicht noch etwas verändern möchtest.«

Ja. Alles!

»Nimm jetzt wahr, an welchen Stellen genau dein Körper den Boden berührt.«

Am Arsch! Wo denn sonst? Da sitze ich schließlich drauf.

»Nimm kurz deine Umgebung wahr.«

Schnaubende Walrösser!

»Und richte dann deine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf deinen Atem.«

Neiiiiiiin!!!!

»Wiederhole das Ganze in aller Ruhe und in deinem Rhythmus noch dreimal.«

Das ist keine Entspannung, das ist Folter! Gestern die Ölung, heute das hier. Was kommt wohl als Nächstes? Die verpflichtende Teilnahme am Klangschalenorchester?

»Lass die Gedanken, die aufkommen, ruhig zu.«

Mordgelüste. Gleich schupse ich den Gebatikten ins Wasser, wenn der nicht sofort die Luft bei sich behält.

»Das ist völlig normal.« 

Sag ich doch.

»Dann nutze deinen Atem, um dich wieder mit dem Hier und Jetzt zu verankern, und atme deine Gedanken weg.«

Ich dreh durch! Wenn der Typ weiter so heftig bläst, ist gleich das ganze Wasser weg und wir haben Ebbe. Ich möchte ihn würgen!

»Du bist nicht deine Gedanken.«

Oh Gott! Hat die mich gehört? Habe ich das etwa gerade laut gedacht? Augen kurz auf. Scheiße ist das hell! Nein, keine Anzeichen dafür. Alle haben die Augen zu und atmen fleißig ihre Gedanken weg. Das sieht aber auch zu komisch aus. Oh je, jetzt bloß nicht laut loslachen, Karin. Reiß dich zusammen, das gibt Ärger mit Charlie und wozu die fähig ist, weißt du ja mittlerweile.

»Sei geduldig und liebevoll mit dir. Nimm das an, was ist.«

Nein. Ich will, dass die Veranstaltung jetzt ein Ende hat. Wofür soll dieses Meditieren überhaupt gut sein? Zum Zeit totschlagen vielleicht. Hier passiert ja sonst nix. Gar nix. Nada. Null. Niente. Tote Hose und dazwischen Brei-, Brühe- und Linsenmahlzeiten. Das ist also Ayurveda.

»Du bist genau da, wo du gerade sein sollst.«

Ist ja klar, dass die Mechthild das sagt. Muss sie ja. Der Reiseveranstalter zahlt schließlich ihr Gehalt. Fehlt jetzt nur noch die Werbeeinlage mit dem Frühbucherrabatt. Wahrscheinlich bekommt sie dafür Provision. Geschickt eingefädelt, die Gäste ins Nirwana zu meditieren, um sie dann mit verlockenden Angeboten zu ködern. Die Reiserücktrittversicherung kommt aber garantiert nicht dafür auf, wenn man versucht zu erklären, dass nicht man selbst, sondern das meditierende Unterbewusstsein die Urlaubsreise gebucht hat.

»Und nun konzentriere dich wieder auf deinen Atem und löse dich von deinen Gedanken. Alles in deinem Tempo und auf deine Art und Weise. Du musst nichts weiter tun, als dich nur auf dich zu konzentrieren. Ich behalte für dich die Zeit im Auge und signalisiere dir nachher mit diesem Gong, dass es Zeit wird, ins Hier und Jetzt zurückzukehren.« Es ertönt ein blecherner Gong.

Wir sind also noch lange nicht fertig. Und das soll ich jetzt dreimal täglich machen? Weitere sechs Tage? Da werde ich ja verrückt. Kann ich direkt aus dem Ferienflieger in den Bus zur Reha umsteigen. Was soll ich denn jetzt machen?
Nanu? Die sagt ja gar nichts mehr, die Mechthild. Hallo? Na toll! Wie soll man bitteschön an nichts denken? Das geht doch gar nicht. Da ist immer was im Kopf. Es gibt nicht nichts. Oder jemand, also niemand. 

Hat die Sabine wirklich ein Alkoholproblem? Ich habe sie seit gestern nicht mehr gesehen, und das, obwohl die Insel wirklich klein ist. Eine Umrundung am Strand dauert keine zehn Minuten. Beim Frühstück war sie auch nicht. Komisch. Und warum ist mir in all den Jahren nie aufgefallen, was oder wer da in Charlie steckt? Immerhin habe ich meine Tochter nach ihrem totgeborenen Mädchen benannt. Das ist tragisch und verbindet. Oder nicht? Aber nein, die hängt lieber mit Fredi ab und er mit ihr. Die beiden haben sich regelrecht abgesondert. Glauben wohl, sie sind was Besseres, nur weil sie Geld haben. Von wegen meditieren entspannt, es verspannt! Es macht mich aggressiv. Vielleicht sollte ich Fredi und Charlie zur Rede stellen, was die sich einbilden. Und Sabine? Die, die immer eine Antwort auf alles und eine Lösung für jedes Problem hat, ist wie vom Erdboden verschwunden. Sind ihr wohl die schlauen Ratschläge ausgegangen, was? Jetzt, wo sie nichts mehr hat, in das sie sich einmischen kann, die Frau Oberschlau. Wenn ich nur daran denke, wie oft sie sich in mein Leben …

Gong

»Es ist nun an der Zeit, wieder in das Hier und Jetzt zurückzukehren.«

Aha. Die Mechthild hat ihre Sprache wieder gefunden. Toller Job. Dafür wird die auch noch bezahlt. Auf einer Ferieninsel im Paradies abhängen und Menschen beim Schweigen zu beaufsichtigen. Der könnte ich dafür jetzt in die Fresse schlagen.

»Richte deine Aufmerksamkeit wieder auf deine Umgebung und konzentriere dich auf deine Wahrnehmung und wenn du so weit bist, öffne langsam deinen Augen.«

Der Gebatikte pustet laut und stoßartig seine Luft aus. Da wird einem ja schon beim Zuhören ganz schwindlig. Als ich meine Augen vorsichtig öffne, treffen sich unsere Blicke und er sagt zu mir: »Ist das nicht ein perfekter Start in den Tag? Gedankenfrei und völlig losgelöst?« 

Von der Erde fliegt das Raumschiff völlig schwerelos, ja ja! Danke für den Ohrwurm! Von wegen, Gedankenfreiheit!

»Namaste und hab einen wundervollen Tag. Bis heute Nachmittag«, verabschiedet sich die Mechthild. 

Ich muss mir dringend eine Entschuldigung für diesen ganzen Meditationsmist einfallen lassen. 

Nochmal mache ich das nicht mit.

Ich will aufstehen, aber alles klemmt. Meine Beine sind eingeschlafen, meine Hüfte tut weh und mein Rücken spannt. Meditation. Das ich nicht lache! Charlie springt aus ihrem Schneidersitz auf wie ein junges Reh und streckt mir ihre Hand entgegen, an der ich mich unter lautem Gestöhne hochziehe. Wie alt bin ich doch gleich? Einhundert?

»Was steht bei dir jetzt auf dem Programm?«, ist sie neugierig.
Mist! Jetzt muss ich gestehen, dass ich meinen Plan habe auf dem Zimmer liegen lassen und es mich in Wahrheit nicht die Bohne interessiert, wohin und zu wem ich jetzt gehen soll. Ich gestehe also. 

»Du kannst das an der Rezeption nachfragen, dann verlierst du keine Zeit und verpasst deine Anschlussbehandlung auf gar keinen Fall«, grinst sie mich breit an.

Na toll!

Wir setzen uns in Gang und ich werde das Gefühl nicht los, dass Charlie mich bewacht. Sie begleitet mich auf Schritt und Tritt, immer eine halbe Armlänge hinter mir, so, dass sie jeden Moment nach mir schnappen könnte, sollte ich versuchen, davonzulaufen. 

Die Sonne knallt mir mit voller Wucht ins Gesicht. Warum vergesse ich ständig meine Sonnenbrille, wenn ich sie am dringendsten brauche? Wir laufen über den Steg an den Strand zur Rezeption, die sich in unmittelbarer Nähe befindet. Alles ist hier nah beieinander, nur zwischenmenschlich tun sich Welten auf. Am Empfang arbeitet heute die Gabi mit dem prallen Busen vom Begrüßungskomitee. Täusche ich mich, oder sieht die mich komisch an? Und warum schaut sie mir zwischen die Beine? Geht´s noch? 

»Du hast als Nächstes eine Synchronabhyanga, die findet gleich nebenan im Health Centre statt«, klärt sie mich auf, den Blick immer noch zwischen meinen Augen und meinem Schritt hin und herwandernd. Macht die mich an?

»Und was soll das sein? Dieses synchrone Abbabanga?«

»Abhyanga. Das ist eine Ganzkörpermassage, bei der du von zwei Therapeuten gleichzeitig massiert wirst.«

»Das ist der Wahnsinn!«, ertönt plötzlich Sabines Stimme direkt hinter mir. »Ich habe gestern dabei fast einen Orgasmus bekommen! Du wirst es lieben.«
Wo kommt die denn auf einmal her?

»Ich will aber keinen Orgasmus!«,

flehe ich die Gabi an, die jetzt rot anläuft.

»Warum nicht? Ist doch angeblich so gut für die körperliche Ausreinigung der ganzen Giftstoffe, nicht wahr, Charlie? Deswegen sind wir schließlich alle hier, oder etwa nicht?«, ist Sabine gereizt.

»Die Massage dient dem Loslassen und Lösen von Blockaden und inneren Knoten«, versucht die Gabi das Gespräch in eine alltagstaugliche Richtung zu lenken.

»Das geht genauso gut mit Sex und Orgasmen«, mischt sich Sabine erneut ein.

»Man kann nicht immer alles mit Sex lösen, Sabine!«, fährt Charlie sie daraufhin an.

»Warum? So hast du dir schließlich deinen Mann geangelt und die Lösung hat doch ganz gut für dich funktioniert, oder etwa nicht?«

Stille.

(…)

Erscheint Anfang Dezember 2021 überall dort, wo es Bücher gibt.

Photo by processingly on Unsplash

Follow me on