Der Elternabend – Leseprobe aus ›Lebenslang? Mit Fragezeichen‹

»Einen Gin Tonic bitte.« »Das hier ist ein Elternabend!« »Ach so, Dann bitte gleich zwei!«

Karin steckt fest. Zwischen Kindergarten- und Reihenhausalltag fristet sie genau das Dasein, das sie nie wollte: Vorstadthausfrau in Vollzeit.
Doch dann reißt sie ein Schicksalsschlag aus ihrer verhassten Routine und katapultiert sie gemeinsam mit ihren besten Freunden Sabine, Charlie und Fredi auf ein einsames Inselresort mitten im Indischen Ozean.
Dort verlangt eine Ayurveda-Kur dem Quartett so einiges ab. Das Ausreinigungsprogramm samt Alkoholverbot legt die Nerven aller blank und dann soll sie auch noch gleich zu Tagesbeginn auf nüchternen Magen und unter Anleitung MEDITIEREN?

Ob und wie das für unsere liebe Karin ohne -t funktionieret … here we go:

Aus Kapitel 3:

Der Kindergartenelternabend

Um halb acht klingelt es. Die sportliche Regine steht vor der Tür, um mich abzuholen. Ihr Erstgeborener und Lilly sind in der gleichen Gruppe und wir machen uns gemeinsam zu Fuß auf den Weg.
Ohne Sportleggings und Laufschuhe hätte ich sie fast nicht erkannt. Regine ist nicht nur ganztags sportlich, sondern achtet auch noch penibel auf ihre Ernährung, nascht nie von den Kindertellerresten und trinkt keinen Alkohol. Allein das disqualifiziert sie als eine potenzielle Freundin. Hinzu kommt ihre humorlose Art, die uns bei Gesprächsversuchen immer wieder im Weg steht. Sobald ich einen blöden Spruch mache, hinterfragt sie, wie ich das genau gemeint habe und ob man das überhaupt so sagen dürfe. Das ist furchtbar anstrengend und ermüdend. Für oberflächlichen Smalltalk über das Wetter und die Launen unserer Kinder reicht der Fußweg zum Kindergarten aber genau aus und ich atme erleichtert auf, als wir den Raum der Bio-Wuschelbärchen betreten und unsere krampfhaften Gesprächsversuche einstellen können. 

Ja, genau: Bio-Wuschelbärchen!

Wuschelbärchen allein hat nicht gereicht, der Zusatz musste davor. Die aufwendige Elterninitiative berief sich darauf, dass man so das ökologische Bewusstsein der Kinder fördere und dazu beitragen könne, den Klimawandel zu stoppen. Auch die Regine war damals dafür. Die kauft natürlich nur Bio. Logisch. Wahrscheinlich macht sie auch Bio-Sex. Ach verdammt, ich mag sie halt einfach nicht.

In dem Raum, wo Lilly ihre Vormittage verbringt, ist alles auf kleine Kindergrößen eingestellt. Der Stuhl, auf dem ich Platz nehme, zwingt mich dazu zu hocken statt zu sitzen. Ich komme mir vor, wie Gulliver in Liliput. Meine Knie befinden sich auf Brusthöhe und ich weiß nicht so recht, wohin mit meinen Händen. Auf dem Tisch ablegen kann ich sie nicht, weil meine Beine dazwischen sind, hängen lassen sieht doof aus und meine Hände berühren dabei den Boden, also bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Beine zu umklammern. Der Bund meiner Jeans zwickt am Bauch und ich verfluche die Reste meines Schwangerschaftsspecks. Solche Probleme hat die sportliche Bio-Regine natürlich nicht. Sie überschlägt ihre dürren Beinchen und kann sich dabei noch an den Tisch beugen. Allein vom Hinsehen wird mir schlecht.

Um mich herum entsteht Hektik

Alle kramen in ihren Handtaschen. Ich habe keine dabei, wozu auch, mein Hausschlüssel passt in die Manteltasche. Aber dann sehe ich, was aus den Taschen gezaubert wird: Laptops, iPads und das ein oder andere Filofax. Auch die Regine hat eins dabei und mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Hast du denn nichts zum Mitschreiben dabei?«, fragt sie mich vorwurfsvoll.
»Wozu?«
»Für die ganzen Informationen.«
»Es gibt doch bestimmt ein Protokoll.«
»Na ja«, spuckt mir Regine ihren Kommentar vor die Füße.
Ich schaue mich um und stelle fest, dass ich tatsächlich die Einzige ohne Schreibutensilien bin. Der Rest rüstet gerade auf. Geräuschvoll werden die Laptops aufgeklappt, hektisch wird auf den iPad-Oberflächen herumgewischt und werden Zettel durchnummeriert. Die Atmosphäre gleicht dem Beginn einer Pressekonferenz im Kanzleramt, wo gleich der Militäreinsatz der Bundeswehr bekannt gegeben wird. Doch statt Frau Merkel betreten jetzt die Kindergartenleiterin und die zwei Erzieherinnen der Bio-Wuschelbärchen den Raum und nehmen auf den einzigen drei Sitzgelegenheiten in Normalgröße Platz. Sie thronen vor uns, als würden sie Audienz halten, während wir Eltern auf den Kinderstühlen kauern. Alles verstummt und die wenigen, die sich noch unterhalten, werden von den anderen zum Schweigen ermahnt.

Und dann geht der Spaß erst richtig los. Nachdem die Agenda verlesen wurde, ist mir klar, dass das ein langer Abend wird. Alkohol gibt es keinen, dafür Hagebuttentee und Wasser. Sollte ich jemals wieder an so einer Veranstaltung teilnehmen, bringe ich mir einen gut getarnten Gin Tonic in einer Thermoskanne mit. Es gibt sage und schreibe fünfzehn Tagesordnungspunkte! 

Fünfzehn!

Und zu jedem Einzelnen wird ausführlich diskutiert, denn einige Eltern haben enormen Redebedarf.
Ich frage mich zwischendurch, ob es für die Wortbeiträge mündliche Noten gibt und ich das nicht mitbekommen habe? Hände schnellen in die Höhe, Finger werden geschnippt und es wird sich gegenseitig unterbrochen.
Die Streitlust erreicht ihren absoluten Höhepunkt, als es um das Mitbringen von Geburtstagskuchen geht. Da bräuchte es strengere Richtlinien, meint die Mama von Julius. Das findet auch die andere Hälfte der Mama-vons. Einen eigenen Namen leistet sich hier keine mehr. Man solle bitte zukünftig auf die Verwendung von Bio-Zutaten achten sowie auf Zucker, Mehl, Kuhmilch und Eier verzichten.
Was ist bitteschön ein Kuchen ohne seine Hauptbestandteile?
Genau das erklärt jetzt Mama von Jonathan mit Unterstützung einer aufwendig gestalteten Power-Point-Präsentation, auf der Datteln einfliegen, Sojamilch vor Freude überschäumt und Mandeln sich ekstatisch gegenseitig aneinander abreiben.
Kaum ist der Alternativkuchenporno vorbei, geht es los. Weder Mandeln noch Datteln seien regional und Soja fördere die vorzeitige Geschlechtsreife, beschwert sich Mama von Cecilia.
Wovor hat die Angst, frage ich mich, dass ihre Tochter schwanger und ohne Abschluss den Kindergarten abbrechen muss?
Mama von Paula ist prinzipiell gegen Süßigkeiten und bevorzugt Gemüse. Eine gefüllte rote Tofu-Paprika mit einer Geburtstagskerze obendrauf habe schließlich auch etwas Feierliches.
Totaler Quatsch, findet Mama von Chayenne, die sich extra einen Thermomix für dreitausend Euro zugelegt hat, nur um dem ganzen Backwahn hinterherzukommen, der in Schulen und Kindergärten wütet.
Mama von Karl-Peter kauft bei der Discount-Bäckereikette um die Ecke, weil sie nebenbei noch andere Kinder alleine erziehen und arbeiten muss. Sie habe weder Zeit zum Backen noch Lust, sich zur Ernährungsberaterin umschulen zu lassen, nur um einmal im Jahr einen Kuchen abzugeben.
Ich habe die Frau noch nie zuvor in meinem Leben gesehen, weil Karl-Peter ein Ganztagskind ist und wir somit unterschiedliche Abholzeiten haben, aber sie ist mir auf Anhieb sympathisch. Als ich ihr zustimme und bestätige, dass ich das genauso sehe, springt die Arschloch-Mama von Franki-Schatzi fast im Dreieck. »Das war ja klar, dass du das genauso siehst. Euer Verhalten ist das beste Beispiel dafür, welchen massiven Schaden Zucker anrichten kann. Das geht schon so weit, dass ihr kleine, unschuldige Kinder angreift, so wie neulich meinen Frank. Bedroht habt ihr ihn, alle beide!«
»Dein Sohn hat mir gegen das Schienbein getreten und ich habe ihn lediglich zurechtgewiesen«, rechtfertigt Mama von Karl-Peter ihr kinderfeindliches Verhalten.
»Und mir hat er die Zunge rausgestreckt. Wer hat jetzt hier den größeren Schaden?«, pflichte ich ihr bei.
Vergessen sind die alternativen Inhaltsstoffe für Kuchen, denn jetzt geht es um den Kinderschutz und die Frage, ob man den Sozialdienst informieren sollte. Mit zusammengekniffenen Augen und Schmollmund hockt sich Mama von Jonathan wieder auf ihr Stühlchen und verschränkt demonstrativ die Arme, weil ihr Auftritt vorerst beendet ist.
»Ein Anti-Agressions-Training könnte deiner Tochter nicht schaden«, kommt Mama von Frank jetzt so richtig in Fahrt. »Neulich hat sie meinen Sohn als Vollpfosten beschimpft.«
»Wenn das ihre Meinung ist? Ich dachte, unsere Kinder sollen lernen, über ihre Gefühle zu sprechen. Ich finde das äußerst progressiv und einen guten Fortschritt«, verteidige ich meinen Nachwuchs mit dem Vokabular meiner Therapeutin. Haben sich die zahlreichen Stunden am Ende doch noch gelohnt, denn Mama von Frank starrt mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund sprachlos an.
»Dann hätten wir noch den Agendapunkt Faschingsfeier«, nimmt eine der Erzieherinnen den Faden der Tagesordnung wieder auf. 

Das muss man auch erst mal schaffen, vierzehn Protokollpunkte breit und ausführlich zu zerreden, ohne am Ende ein einziges Ergebnis abhaken zu können. Wir sollten alle geschlossen in die Politik gehen.

Eine Faschingsfeier ist ein schöner Abschluss und bestimmt schnell geregelt – denke ich und werde direkt eines Besseren belehrt. Es hat sich nämlich eine Elterninitiative gebildet, die eine Liste politisch korrekter Kostüme erstellt hat, die gerade verteilt wird. Man bittet um geschlechter- und ethnisch neutrale Verkleidungen, alles im Sinne der Anti-Diskriminierung. Einige Pazifisten-Eltern bestehen außerdem auf den Verzicht von Plastikpistolen und Seeräubersäbeln, das unterstütze militantes Verhalten und könne potenzielle Amokläufer hervorrufen. Die Anti-Zucker-Front rund um Mama von Jonathan und Mama von Frank mahnt erneut eindringlich vor den verheerenden Folgen des Teufelszeugs und bietet an, Dinkel-Vollkorn-Brötchen in Krapfenform zu backen.
Mama von Chayenne bietet dafür ihren Thermomix an, Mama von Frank sagt Danke. 

Ich bin kurz davor durchzudrehen

Seit geschlagenen zweieinhalb Stunden hocke ich auf diesem verdammten Miniaturstühlchen, welches mir das Gefühl gibt, einen XXL-Hintern zu haben. Diese Sitzfläche ist für Drei- bis Sechsjährige gedacht! Regine und ihr dauerjoggender Kindergartenarsch haben kein Problem damit, im Gegenteil, es könnte sich sogar noch jemand neben sie auf den Stuhl setzen. Mein Po dagegen hängt an den Seiten über und wird langsam, aber sicher taub. Meine Beine sind eingeschlafen, weil in dieser hockenden Sitzposition kein Blut mehr zirkuliert, und mein gequetschter Bauch sprengt jeden Moment den Knopf meiner Jeans.
Ein Ende ist aber noch lange nicht in Sicht, denn jetzt geht es nicht mehr nur darum, als was sich unsere Kinder noch verkleiden dürfen, sondern zusätzlich auch noch darum, aus welchen Rohstoffen die Kostüme hergestellt sind. In Lillys Schränkchen hängt ein rosafarbenes Prinzessinnenkostüm mit Tüllüberwurf, das zu hundert Prozent aus Polyester besteht. Ich habe es für neun Euro neunundneunzig bei einem meiner letzten Einkäufe im Supermarkt erstanden. Zugegeben, besonders einfallsreich und umweltfreundlich ist das nicht, aber meine Tochter macht sich mit ihren vier Jahren nicht viel aus veralteten royalen Müllrückständen. Sie will lediglich ein Mal im Jahr ein absolut alltagsuntaugliches, kitschiges Kleidchen tragen und in die Welt abtauchen, welche sie aus den Märchen kennt, die in jedem Buchhandel erhältlich sind, weil sie offiziell zur Allgemeinbildung zählen. Und das will ihr jetzt auch noch Mama von Alice verbieten. Mama von Alice hat ihre Tochter nach Alice Schwarzer benannt. Das war leider ein schlechtes Omen, weil Alice nicht nur den Namen, sondern auch das Aussehen ihrer berühmten Namenspatin geerbt hat.
Tja, hätte Mama von Alice sich besser mal für Heidi entschieden.
Mama von Alice und ohne eigenen Namen redet jetzt von Rollenvorbildern und frühkindlichen Prägungen, die wir alle mitverantworten. Sie ist nämlich Heilpädagogin und kennt sich aus. Das lässt sie einen immer und zu jeder Gelegenheit wissen. Sie ist eine von den Frauen, die zu allem und jedem etwas sagen müssen und bei denen man die Kommentarfunktion nicht ausschalten kann.
Jeden Satz beginnt sie mit: »Das kommt bestimmt von«, oder: »Das macht er/sie, weil.« Komischerweise kommentiert sie aber nur das Verhalten anderer Kinder. Ihr eigener Nachwuchs sei die Ausnahme, welche die Regel bestätige.
Mama von Alice spricht sich gerade strikt gegen frauenfeindliche Verkleidungen aus, die die Errungenschaften der Emanzipation im Keim beziehungsweise hier im Kindergarten ersticken würden. Die Diskussion geht jetzt zum Glück auch den anderen Eltern zu weit und man schlägt vor, sich an europäischen Kostümvorlagen zu orientieren und politische Statements außen vor zu lassen. Haken dran, Ende der Diskussion und der heutigen Veranstaltung. 

Endlich!

Um elf Uhr abends endet die Premiere und ich habe meinen ersten Kindergartenelternabend überstanden. Noch zwei Jahre bis zur Einschulung. Dann wird alles besser.
Ach, ich habe ja keine Ahnung, was da alles auf mich zukommen wird, aber das weiß ich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht und mache mich nichtsahnend und völlig erschöpft auf den Heimweg. 

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