Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2021

Gedanken und Impulse zum Jahresende

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und ein Rückblick auf all die Ereignisse, die uns in den letzten zwölf Monaten widerfahren sind, drängt sich geradezu auf.

Ich mag das. Sich einen Moment Zeit nehmen, den Kalender gedanklich durchgehen und alles noch einmal Revue passieren lassen. Schließlich hat mich das alles geprägt und zu dem Menschen werden lassen, der ich aktuell gerade bin. Und da ich nun mal 24/7 an 365 Tagen im Jahr in meiner Haut feststecke, möchte ich die Person, mit der ich (gezwungenermaßen) die meiste Zeit meines Lebens verbringe, besser verstehen und ihre Emotionen, Aktionen und Reaktionen nachvollziehen können, um eben noch fürsorglicher und liebevoller mit ihr – also mir – umgehen zu können. Denn so machen wir es auch mit unseren Freunden, richtig? Wir fragen nach, wie es ihnen geht, was sie beschäftigt und warum. Wir sind für sie da. Das nennt sich Fürsorge und die Vorstufe dazu ist und bleibt eben:

Selbstfürsorge

Ein Bekannter meinte neulich während unserer Unterhaltung: »Wow! Bei dem, was dir alles passiert ist, bist du bestimmt heilfroh darüber, dass das Jahr bald vorbei ist!«

Überrascht zog ich meine Augenbrauen hoch, blickte ihn an und entgegnete: »Also, so habe ich das noch nicht betrachtet. Aber vielen Dank, jetzt geht es mir besser.«

Diese Sichtweise war mir tatsächlich neu. Ich war erstaunt darüber, dass mir in den vergangenen zwölf Monaten kein einziges Mal der Gedanke ›Warum ausgerechnet ich?‹ in den Sinn gekommen war.
Von außen betrachtet hätte ich anscheinend allen Grund dazu gehabt.

Mein 2021 im Überblick

Es hatte damit begonnen, dass sich mein Hund ein Bein brach, was nicht nur emotional, sondern auch finanziell äußerst herausfordernd war. Für das Geld seiner Operationen und Behandlungen kann man einen Kleinwagen ergattern. Sein Genesungsprozess zog sich über ein halbes Jahr hin. Während dieser Zeit war ich in Kurzarbeit und befand mich im Rechtsstreit mit meinem alten Arbeitgeber, der mich aus meinem Job rausmobben wollte.
Kaum war das überstanden, wurde mein Vater von heute auf morgen zum Pflegefall. Ich sagte meinen langersehnten Sommerurlaub ab, fuhr in meine alte Heimat und organisierte dort alles. Von der Wohnungsauflösung bis zum Umzug in sein neues zu Hause bei mir in München.
Kaum war mein Vater hier angekommen, entschied er nach knapp einem Monat wieder auszuchecken. Der Anruf errichte mich an einem Freitag Vormittag im Supermarkt zwischen Hafermilch und Dosenthunfisch. Als ich kurz darauf die Notaufnahme des Krankenhauses stürmte und meinen Vater sah, wusste ich, dass es das war. Du weißt es einfach, das kann dir keiner erklären, wenn du es nicht selbst erlebt hast.
Die folgenden drei Tage habe ich also einen Live-Crashkurs in Sterbebegleitung gemacht. Danach organisierte ich seine Beerdigung und fing meine Kinder emotional auf.
Als auch das vorüber war, quartierte sich Covid-19 zu Besuch bei uns zu Hause ein. Die Quarantäne mit einer energiegeladenen Neunjährigen und einer hormongesteuerten Teenagertochter, die ihren Freund wegen des Ausgangsverbots nicht sehen kann, ist, gelinde gesagt, zum Kotzen.

Unterm Strich könnte man meinen, dass es ein ziemlich beschissenes Jahr für mich war und ich jegliches Recht dazu hätte, am Ende meiner Kräfte zu sein. Das erwarten zumindest die Menschen von dir, die dich nicht besonders gut kennen und nur am Rande mitbekommen, was in deinem Leben gerade so los ist.

Wenn du aber eben nicht dieses Häufchen Elend repräsentierst oder das, was dein Gegenüber von dir gerade in dieser Situation erwartet … ja, was dann eigentlich?

Dann ist das scheißegal, weil es um mein Leben und meine Einstellung dazu geht – und nicht um die der anderen.

Und jetzt nehme ich Dich mit und tauche gemeinsam mit Dir ein in meine ganz eigene persönliche Sichtweise von meinem 2021. Am Ende entscheidest Du, was Du davon für dich mitnehmen möchtest und was Du lieber bei mir lassen willst.

Und weißt Du was?

Das ist völlig in Ordnung!

Benjis Beinbruch direkt zu Beginn des Jahres hat mich zum Innehalten verdonnert. Nix ging mehr. Der Hund ging nicht mehr – wortwörtlich. Ich stand mit ihm still und wurde regelrecht ausgebremst. Das hat mir viel Zeit verschafft, unfreiwillig, aber immerhin, denn ist sie laut Volksmund nicht unser höchstes Gut?
Also fragte ich mich: »Nun, liebe Ava, wofür ist das gut?«
Die Antwort darauf schrie mir direkt mein Kontostand entgegen: »Für gar nix!«

Während ich im Leben mit Worten jongliere, machen das andere mit Zahlen. Rein rechnerisch ist klar, wer dabei die Nase, also das Plus, vorn hat. Rein kosmisch betrachtet hat mich das in eine andere Galaxie katapultiert, denn ich lernte mich in Geduld zu üben und Vertrauen zu schenken. Und damit meine ich keineswegs Untätigkeit oder Kapitulation, im Gegenteil. In dieser Zeit habe ich im Alleingang mein erstes Buch herausgebracht und das zweite geschrieben. Zeit und Geld (das ich ja wegen des kaputten Hundes eigentlich nicht hatte) flossen in die Veröffentlichung eines Projektes, von dem ich wusste, dass es ein wichtiger Baustein auf meinem persönlichen und beruflichen Weg sein würde. Mein Vertrauen galt einzig und allein mir und meinem Talent. Meine Aufgabe bestand zu dem Zeitpunkt in der Beantwortung einer einzigen Frage:

»Vertraue ich mir?«

Alles in mir schrie: »Ja!«, und so schritt ich voran – wenn auch nur im übertragenen Sinne, da der Hund und ich ja nachweislich nirgendwo hingehen konnten.

Wo ich auch nicht mehr hingehen konnte, war mein alter Arbeitgeber, weil man mich dort schlichtweg nicht mehr wollte. Das hatte weniger mit der Qualität meiner Arbeitskraft zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass ich die Kurzarbeit zum Schreiben genutzt hatte.
Mein Ex-Chef war so begeistert davon, dass er mich als »Schande für das Unternehmen« beschimpfte und ankündigte, mir eine eventuelle Rückkehr unmöglich zu gestalten. Die Firma hatte endlich einen Vorteil in meinem Status als alleinerziehende Mutter zweier schulpflichtiger Kinder erkannt und versprach mir, mich bei Wiedereintritt nonstop auf Reisen zu schicken.
Es folgten diverse andere Schikanen, die mich wieder zu der Beantwortung einer einzigen Frage führten:

»Stehe ich zu mir?«

Da ich u.a. auch hinter der deutschen Rechtsprechung stehe, zog ich vor Gericht, erhielt das, was mir zusteht und holte mir so die Operations- und Behandlungskosten vom Universum über meine Abfindung wieder zurück. Yeha!

Das wäre ein schöner Jahresabschluss gewesen. Allerdings hatten wir erst Mitte 2021 und das Universum dachte sich: »Da geht doch noch was!«

Keine drei Wochen nach dem Gerichtstermin erfuhr ich telefonisch von einer Polizeistelle in meinem 376 Kilometer entfernten Geburtstort, dass mein Vater in seiner Wohnung gestürzt und nun im Krankenhaus war. Am nächsten Morgen saß ich im Auto dorthin und am Mittag bei meiner Ankunft war klar, dass das ein längerer Aufenthalt werden würde und ich ab sofort viel zu erledigen hatte. Und wieder fragte ich mich:

»Wofür ist das gut?«

»Für gar nix!«, brüllten meine Energiereserven mit letzter Kraft zurück, deren Pegelstand gen Nullpunkt sank, denn anstatt mich wie geplant unter der Sonne Spaniens von den Strapazen der ersten Jahreshälfte zu erholen, schwitzte ich im hochsommerlichen Hessen zwischen Behördengängen und täglichen Krankenhausbesuchen. Und lernte. Nicht nur über das Altwerden in Deutschland oder bürokratische Sonderregelungen zur Beantragung der verschiedenen Pflegegrade, sondern auch und vor allem:

Über mich!

Unsere persönliche (Weiter)Entwicklung findet immer außerhalb unserer Komfortzone statt. Wenn die Dinge einfach sind und vor sich hinplätschern, kämen wir nie auf die Idee, den Staus quo zu hinterfragen. Wozu auch? Es läuft doch alles wie gewohnt. Meistens muss erst etwas im Außen passieren, das uns dazu zwingt, in unser Inneres hineinzusehen, um zu erkennen, wo wir aktuell stehen, was uns gerade beschäftigt aber auch, was uns behindert und uns im Wege steht. Wenn wir das nicht tun, werden wir im Außen immer und immer wieder darauf hingewiesen, und zwar so lange, bis wir es endlich checken und unsere Hausaufgaben machen.

Du bist gefühlt ständig von Idioten umzingelt?

Du gerätst wieder und wieder an die falschen Männer/Frauen?

Deine Schwiegermutter schafft es bei jeder Gelegenheit, dich auf die Palme zu bringen? (Ersetze die Schwiegermutter durch jede x-beliebige Person – ich wette, Du hast direkt jemanden im Sinn!)

Im Job geht es weder vor noch zurück?

Dein Körper streikt regelmäßig und sendet Dir Signale – Du bekämpfst die Symptome – aber es wird und wird nicht besser, beziehungsweise verlagert sich nur an einen anderen Ort?

Dann kann es sein, dass Du deine Hausaufgaben noch nicht gemacht hast und nachsitzen musst, und zwar so lange, bis Du etwas verändert hast. Und dieses ›Etwas‹ sind nicht die Umstände oder die anderen Menschen, sondern das bist einzig und allein:

Du

Was hat das alles aber jetzt mit meinem damals kranken und später toten Vater zu tun?

Nun, wenn du dich plötzlich tagtäglich um einen Menschen kümmerst, der aus diversen Gründen zuvor keine Rolle in deinem Leben gespielt hat, ergibt das einen Sinn? Und ob!

Es kehrte mein Innerstes nach außen.

Es konfrontierte mich mit meinen Mustern und zeigte mir, wo ich noch feststecke.

Es forderte mich emotional heraus und verlangte von mir, dass ich das zulasse, weil hinter dem Schmerz die Befreiung liegt.

Und: Ich tat es letztendlich für mich. Weil dieser Prozess mich hat erkennen lassen, wer und was da alles in mir steckt (man lernt Menschen – vor allem die angeblich besten Freunde –  in Extremsituationen besonders gut kennen. Dann zeigen sie ihr wahres Ich. Warum sollte das bei uns selbst anders sein?)

Und es hat mich Folgendes gelehrt: Egal, was im Außen passiert, ich kann mich immer und zu jeder Zeit auf mich und meine Umsetzungskraft verlassen.

Die notwendige Hilfe und Unterstützung von außen kommt von ganz allein – wenn wir sie zulassen. Mir schwappte während dieser schweren Zeit und weg von zu Hause eine regelrechte Welle der Hilfsbereitschaft entgegen. Vom Barmann im Hotel, der am Ende meiner langen und nervenaufreibenden Tage fragte, wie es mir geht, über Behörden, die voller Mitgefühl und Verständnis Prozesse beschleunigten, bis hin zu der älteren Dame, die mich spontan zum Tee in ihre Wohnung einlud, um dort mit mir stundenlang über Gott, die Welt und Kunst zu philosophieren – sie alle waren für mich da, als ich sie am nötigsten brauchte.

So. Das wäre doch jetzt ein schöner Jahresabschluss. Alle in meiner Familie sind wieder gesund und der nächste große Jahresurlaub ist gebucht.
Aber man soll den Tag ja bekanntlich nicht vor dem Abend loben. Also bleibe ich gespannt und warte ab, was das Jahr noch alles für mich parat hält in den letzten verbleibenden Tagen von 2021 – und werde selbstverständlich darüber berichten.

In diesem Sinne – hab es schön und wenn es mal unangenehm wird, frage Dich:

›Wofür ist das gerade gut?‹

›Was kann ich dadurch lernen?‹

Photo by Ava Blank

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