Leseprobe

schwanger! mit Ausrufezeichen

Schwanger! 

Dieses Testergebnis stellt Karins Welt völlig auf den Kopf. Für sie sind Mütter verwahrloste Vorstadtfhausfrauen, so wie ihre Schwester. Und jetzt soll sie eine von denen werden?

Auf gar keinen Fall!

Ein Plan muss her, der das verhindert und sie zum Paradebeispiel einer neuen Generation werdender Mütter macht. Eine Schwangerschaft ohne Nebenwirkungen soll es werden. nur so können sich Frauen ihren Sexappeal und den Mann erhalten – davon ist Karin überzeugt.

Bewaffnet mit einem 10-Punkte-Plan sagt sie dem ganzen Mamiwahnsinn den Kampf an. Und erlebt dabei ihr blaues Wunder. Denn nicht nur ein schwangerer Körper folgt seinen eigenen Gesetzten. Auch das Leben hat seinen eigenen Plan – und verändert einfach ALLES, Renn es will.

Kapitel 1
S. 24 – 39

(…)
Nach diesem aufbauenden Telefonat muss ich Claire zeitnah über meine Schwangerschaft informieren, bevor das meine Mutter öffentlich via Facebook übernimmt. Sonst darf ich mir tausend Vorwürfe anhören, warum Claire als meine einzige Schwester das als letzte Person in dieser Familie erfährt.
Man geht immer davon aus, dass alle Frauen ihre Befruchtung am liebsten sofort in die ganze Welt ausposaunen. 

Ich bin aber nicht alle Frauen!

Im Gegenteil, ich finde das äußerst befremdlich. Von Claire und Diethelm wollte ich damals auch nicht wissen, wie und wo sie ihr erstes Kind gezeugt haben. Aber in meiner Familie bleibt dir nichts erspart. So wurde ich breit und ausführlich darüber informiert, dass ihr erstgeborener Sohn das Ergebnis einer feuchtfröhlichen Firmenweihnachtsfeier ist. Da hat der Diethelm meiner Schwester den Kaiser Franz gemacht und mit den Bildern muss ich jetzt fertigwerden. Das ist wie bei Horrorfilmen, in denen das Gemetzel nicht direkt gezeigt wird, sondern der Alptraum sich voll und ganz im Kopf des Zuschauers abspielt.
Zur Krönung wurde ich dann auch noch als Patentante für den Weihnachtsfeier-Nachwuchs auserkoren. Als ich Claire nahelegte, dafür doch lieber jemanden aus ihrem kleinkarierten Vorstadt-Freundeskreis zu nehmen, der was von Kindern und Blechkuchen versteht, kam die Blut-ist-schließlich-dicker-als-Wasser-Leier. Jetzt habe ich also ein Patenkind namens Korbinian. Sollte mir tatsächlich jemals Verantwortung für den Jungen übertragen werden, verpasse ich ihm als Erstes einen anständigen Namen. Mir schweben ein flotter Ben oder ein smarter Philipp vor.
Ich rufe Claire an und erhalte als Reaktion auf meine guten Neuigkeiten prompt die Einladung zu einem ihrer todlangweiligen Nachbarschaftsgartenfeste.
In der Sommerzeit wird nämlich gegrillt. Immer schön abwechselnd in den diversen Vorstadthaushalten. Kommendes Wochenende sind, wie es der glückliche Zufall will, Claire und Diethelm an der Reihe, wodurch sich Mark und ich als Verwandte ersten Grades quasi automatisch zur Teilnahme verpflichten. 

Na toll!

Eine Woche später fahren wir raus aus der Stadt und hinein in die Retortensiedlung, wo meine Schwester samt Familie lebt.
Die Stadt München hat vor einigen Jahren viel Geld in die Hand genommen und sich einen komplett neuen Stadtteil ausgedacht, um gebärfreudigen Familien ein Leben nahe der Zivilisation zu ermöglichen. Die hohen Innenstadtmieten haben Familien mit Kindern immer weiter aufs Land vertrieben. Ich persönlich finde das nicht wirklich tragisch. Der innerstädtischen Kinderwagenplage kam die Zwangsumsiedlung nur zugute. Was ist das immer für ein Kampf auf den schmalen Fußwegen, wenn einem die Sorte Mütter entgegenkommt, die prinzipiell im Rudel anrollt und mit ihrer Armee aus Kinderwägen meint, ein naturgegebenes Recht auf freie Durchfahrt zu haben, ohne selbst auch nur einen Millimeter ausweichen zu müssen?
»Die fahren schließlich deine Rente spazieren zu der du, soweit ich weiß, noch nichts beigetragen hast!«, versuchte mich Claire einst wieder zu erziehen, als ich von den Vorzügen einer kleinkinderfreien Innenstadt schwärmte.

Sie versteht mich einfach nicht.

Bei unserer Ankunft vor dem Haus meiner Schwester sind wir kaum aus dem Auto gestiegen, da kommt sie auch schon angerannt. Abwechselnd werden Mark und ich immer wieder euphorisch in die Arme geschlossen.
»Oh mein Gott, ich freu mich ja so für euch! Und jetzt bekommen Korbinian und Annegret endlich einen kleinen Cousin oder ein Cousiiiiienchen, wie wundervoll! Kinder machen das Leben doch erst komplett und lebenswert, nicht wahr?«
»Nicht wahr!«, möchte ich antworten, verkneife es mir aber. Ich kann mit dem ganzen Babykram und den überdrehten Müttern nichts anfangen. Und jetzt soll ich eine von ihnen werden?
Ich mustere Claire von Kopf bis Fuß. Immer die gleiche Kluft, seitdem die Beweislast ihrer Schwangerschaften in Kilos an ihrem Körper hängt. Entweder ein weites T-Shirt oder, wie heute, eine luftige Tunika. Da Jeans mittlerweile an den Hüften kneifen, trägt sie bevorzugt Leggings. Ihre aufgeschwollenen Füße stecken in Flip-Flops. Wenigstens hat sie ihre Fußnägel lackiert. Die Haare haben auch schon lange keinen anständigen Frisör mehr gesehen. Meine Schwester trägt fast immer Pferdeschwanz, weil das ja so praktisch im Alltag ist. Immerhin hat sie sich heute ein bisschen geschminkt.
»Da kommt jetzt aber auch einiges auf euch zu! Wisst ihr denn schon, wann und wohin ihr umziehen wollt?«, reißt sie mich aus meinen Gedanken.
»Umziehen? Wieso, wir haben doch eine Wohnung!«, bin ich irritiert.
»Meine Süße, ihr habt eine Zweizimmer-Dachgeschosswohnung im fünften Stock, ohne Aufzug, mitten in der Stadt. Das ist doch nicht kindergerecht und absolut unpraktisch!«, tadelt mich die Vollblutmutter.
Ja, und genau das ist auch die Idee dahinter! Unsere, beziehungsweise Marks Wohnung, ist so kinderunfreundlich, dass meine Schwester freiwillig auf Besuche mit ihrem Nachwuchs bei uns verzichtet.
»Du, Claire, die Karin ist doch erst Anfang dritter Monat, wir haben also noch genug Zeit, uns darüber Gedanken zu machen. So, wo kriege ich denn jetzt ganz schnell ein leckeres, kühles Bierchen her?«, schaltet sich Mark ein und schlabbert dabei voller Vorfreude mit der Zunge über seine ganz offensichtlich durstigen Lippen. Widerlich!
Aber Moment mal! Da läuft doch gerade was mächtig schief. Wir denken gar nicht daran, umzuziehen, weder jetzt noch irgendwann. Und wieso will der Bier trinken?
»Äh, Bier? Du musst doch Auto fahren!«, gebe ich zu bedenken.
»Hin ja, zurück übernimmst du. Als Schwangere darfst du eh nichts mehr trinken«, und weg ist er.
Verschwörerisch hakt sich meine Schwester bei mir unter und zieht mich durch den Vorgarten hinein ins Grillgeschehen. Und im Vorbeigehen kommt es mir fast so vor, als würde mich der dämliche Vorgartenholzhase mit dem ‚Herzlich willkommen‘ Schild zwischen den Pfoten höhnisch angrinsen und sagen:

»Herzlich willkommen in deiner persönlichen Hölle, Karin Jakob!«

Claire bugsiert mich wie selbstverständlich in das Frauenteam, das in der Küche mit den letzten Salatvorbereitungen beschäftigt ist.
Es ist genau so, wie ich befürchtet habe. Alle sind sie da. Angefangen bei den Schmidtkens aus der 18a, bis hin zu den Zollners aus 18f. Schmidtkens und Zollners haben nicht nur ein Reihenhaus, nein, sie haben ein ReihenENDHAUS! Da hat man von allem mehr. Mehr Platz. Mehr Garten. Mehr Fenster. Mehr Schulden. Für die anderen sind die beiden Endhausfamilien so etwas wie die Rockefeller des Viertels.
18f-Zollners leisten sich sogar ein Au-pair. Frau Zollner, ach nein, die Sabine, man duzt sich ja hier in der Siedlung, hat auf ein Mädchen aus Russland bestanden. Sie war der Überzeugung, dass dieses dann für die fehlende Disziplin und Ordnung bei ihren drei Söhnen sorgen würde. Der Name klang vielversprechend und so ließ man vor sechs Monaten Olga einfliegen.
Mit dem, was ihr Mann dann vom Flughafen mitbrachte, hat allerdings keiner gerechnet. Sehr zum Entsetzen von Sabine und der gesamten weiblichen Nachbarschaft, wohl aber zur großen Freude ihres pubertierenden Sohnes Rudi und aller anderen männlichen Reihenhausbewohner, haben sich Zollners eine lebensgroße Barbie importiert. Und genau die ist heute für die Kinderbetreuung des gesamten Nachbarschaftsnachwuches zuständig, wofür Zollners großzügigerweise den noch großzügigeren Garten ihres Reihenendhauses zur Verfügung stellen. 

»Schaut mal, wen wir hier haben, meine schwangere Schwester Karin ist da!«

Na toll!
Ohs, Ahs und Uis prasseln auf mich nieder und ich bedanke mich innerlich mit dem Mittelfinger bei Claire für ihre Diskretion.
In deren Augen bin ich jetzt eine von ihnen. Am liebsten würde ich einen Kasten Bier exen. Stattdessen drückt mir 18a-Bärbel ein Glas Rhabarberschorle mit den Worten: »Darauf trinken wir«, in die Hand. Super. Mit Schorle!
Und dann geht der Spaß erst richtig los. Von allen Seiten wird auf mich eingeredet. Welche Klinik, welche Geburtsstellung, welches Dammmassageöl, welche Atemtechnik bei den Wehen, welche Naturheilmittel bei Milchstau, was hilft bei Blähungen, und und und. Ich gieße Schorle nach und versuche, mir vorzustellen, es sei Wodka.
Kaum ist dieser Teil der Expertenrunde vorbei, fangen alle an, in den Erinnerungen an die Geburten ihrer Kinder zu schwelgen. Die Caro aus 18b schwört auf den geplanten Kaiserschnitt, was Rita aus 18e überhaupt nicht gutheißen kann. Sie hat alle ihre vier Kinder spontan im Geburtshaus zur Welt gebracht und nonstop durchgestillt, bis die von alleine abgesprungen sind. 18d-Regine und ihr Mann Michael arbeiten aktuell fleißig an Nummer zwei. Nummer eins ist sechs Monate alt und war eine Krankenhaus-Spontangeburt. Das wünsche man sich auch für Nummer zwei. Reihenendhaus Bärbel Schmidtken aus 18a schwört auf die Wassergeburt und das Bad in den Elementen, inklusive Fruchtwasser, Käseschmiere und was sonst noch alles dazugehört. Weiter kommt die Bärbel mit ihren plastisch anschaulichen Ausführungen zum Glück nicht, denn das Fleisch ist fertig und wir werden von den Grillherren nach draußen gerufen.

Im Garten meiner Schwester…

…stehen die Männer alle im Einheitslook um den Grill herum. Poloshirt, Cargo Shorts und Trekkingsandalen, aus denen behaarte Zehen hervorlugen. Jeder der Grillhengste hält mindestens eine Flasche Bier in der Hand und in dem aktuellen Gespräch geht es um? Natürlich, Fußball!
Mark stört das alles nicht im Geringsten. Auch wenn er sich mit seiner Tommy Hilfiger Jeans, dem dunkelblauen Ralph Lauren Shirt und seinen megalässigen Scotch & Soda Bootsschuhen aus Wildleder mehr als offensichtlich von den Vorstadtherren abhebt, gesellt er sich direkt in die Runde und steigt bei seinem Lieblingsthema ein. Männer können das deutlich besser als Frauen, Geschmacklosigkeiten einfach ausblenden und sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Die Tischordnung sieht Geschlechtertrennung vor. Während die Männer die Biertische in nächster Nähe zur Feuerstelle, dem Grill, besetzen, platzieren sich die Frauen vor dem Eingang zur Höhle, also der Terrassentür. Wie in der Steinzeit. Aber das ist mir egal. Hauptsache essen und schweigen.
Gerade als ich mir ein herrlich saftiges Stück Lende von der Schlachtplatte auf den Teller legen will, schnappt mir plötzlich meine Schwester wie von der Tarantel gestochen das Fleisch vor der Nase weg, hebt mahnend den Zeigefinger und belehrt mich öffentlich-rechtlich: »Du musst unbedingt darauf achten, kein halbgares Fleisch zu essen, Karin! Das muss alles gut durchgebraten sein, wegen der Toxoplasmose!« Allgemein zustimmendes Nicken. 

Toxo-was-bitte?!?!

Ich brauche dringend mehr Rhabarberschorle.
Den Kartoffelsalat darf ich übrigens auch nicht essen, da ist selbstgemachte Mayonnaise drin, inklusive rohem Ei. In den anderen Salat hat meine Schwester rein vorsichtshalber massenhaft Schafskäse reingebröckelt, der zu der Sorte Rohmilchkäse gehört. Auch verboten. Und in dem Salat von 18b-Kaiserschnitt-Caro ist Dosenthunfisch drin. Geht laut Meinung hier am Tisch auch nicht. Man legt mir eine Bratwurstschnecke auf den Teller, die aussieht, als hätte sie zu lange auf der Sonnenbank gelegen.
»Garantiert durch!«, wie man mir versichert.
Also, so habe ich mir das mit dem Schwangersein nicht vorgestellt! Ich will verdammt nochmal nicht, dass sich irgendetwas ändert!

Kann man nicht befruchtet sein und trotzdem normal weiterleben, so wie zuvor? 

Zum Dessert gibt es dann, Überraschung: Tiramisu! Rohe Eier plus Alkohol. Bingo! Und eben auch: verboten! Man informiert mich netterweise darüber, dass ich mir den Nachtisch der Kinder nehmen könne. Bum Bum Eis. Das ist dieses giftrote Kindereis mit dem blauen Kaugummistiel. Garantiert industriell gefertigt und daher ohne schwangerschaftsfeindliche Keime.
Meine Schwester macht gerade Anstalten aufzustehen, um mir eins zu holen.
»Lass nur, ich mach das!«, stoppe ich sie, wohl einen Tick zu laut, ihrem erschrockenen Blick nach zu urteilen. Ich muss dringend weg von den ganzen Vollblutmuttertieren, die jeden meiner Bissen genau verfolgen, stehe auf und gehe in Richtung Küche. Dabei halte ich kurz Ausschau nach meinem Freund am Nachbartisch. Und was sehe ich? Der hockt da völlig tiefenentspannt in seiner Männergruppe, probiert sich genussvoll durch sämtliche keimbesiedelte Salate und verschlingt ganz selbstverständlich halbrohes Fleisch, das quasi noch zappelnd vom Grill kommt.
Ich drehe mich weg und gehe rein. Just in dem Moment, als ich über die Schwelle von der Terrasse ins Wohnzimmer trete, höre ich ihn von hinten rufen: »Karin? Wenn du schon reingehst, bringst du mir dann noch ein Bier aus dem Kühlschrank mit?«
Wären wir alleine, würde ich ihm jetzt seine Bierflasche auf dem Schädel zertrümmern und es dann auf die Hormone schieben. Wo soll das bitte hinführen, wenn es jetzt schon so anfängt? Ich bin schließlich eine Frau, die mit beiden Beinen voll im Leben steht. Ich habe einen Abschluss. Einen Job. Einen Plan. Na ja, den hatte ich mal. Zählt das alles nichts mehr, nur weil sich da jetzt in meinem Körper zufällig Ei- und Samenzelle gefunden haben? Jedenfalls scheint meinem Freund die Vorstadtatmosphäre aufs Hirn zu schlagen. Zu viel frische Luft für einen Bürohengst wie ihn.

Ohne eine Antwort zu geben, flüchte ich in die Küche, lehne meine Stirn an den amerikanischen Riesenkühlschrank und atme dreimal tief ein und aus.

Was passiert hier gerade?

Bin ich nur überempfindlich, wie immer, oder ist das alles tatsächlich so furchtbar, wie ich glaube?
Ich entscheide mich für Letzteres und will gerade die Tür des Gefrierschrankes öffnen, als ich aus den Augenwinkeln wahrnehme, wie sich jemand heimlich, still und leise zur Vordertür hinausschleicht. Mein erster Impuls ist: hinterher! Nix wie weg hier. Einfach abhauen. Die Autoschlüssel wurden mir ja schon zugesteckt, soll Mark doch sehen, wo er bleibt und wie er nach Hause kommt. Und was würde das bringen? Mein Freund macht sich trotzdem einen schönen Lenz und käme einfach später mit dem Taxi nach Hause. Da bleibe ich doch lieber hier vor Ort und verderbe ihm mit meiner schlechten Laune den Tag.
Bewaffnet mit meinem Bum Bum Eis wage ich mich wieder nach draußen, wo mittlerweile nacheinander die Kinder zum Essen eintrudeln. Auch das noch. Jetzt hat jede Vollblutmutti mindestens ein Vollblutkind auf dem Schoß sitzen und ich hocke da mittendrin. 18d-Regine packt neben mir ganz selbstverständlich ihren XL-Busen aus, um ihn ihrer Krankenhaus-Spontangeburt Baby Nummer eins in den Mund zu stopfen. Mein geschockter Blick bleibt nicht unbemerkt, denn Claire sieht zu mir und sagt: »Das wirst du auch bald haben, liebe Karin.«
»Im Leben nicht! Wozu gibt es denn Flaschennahrung?«, platzt es aus mir heraus.

Hätte ich nur meinen Mund gehalten. 

Es folgt eine Vortragsflut über die Notwendigkeit des Stillens. Warum Flaschenkinder emotional gestört sind, Probleme damit haben, feste Bindungen einzugehen und ausnahmslos zu potenziellen Attentätern mutieren.
Hilfesuchend schaue ich mich nach Mark um. Warum ist er jetzt nicht an meiner Seite? Und dann sehe ich, warum. Weil er gerade damit beschäftigt ist, den anderen Herren mit einer frischen, prallvollen Bierflasche zuzuprosten. Wie ist er denn an das Bier gekommen? Ich habe ihm doch extra und absichtlich keins mitgebracht?
»Chier koomt mär Bier für starke, durstige Männär!«, wird meine Frage beantwortet. Russen-Barbie. Mit den Kindern ist natürlich auch sie inklusive Biernachschub in den Garten meiner Schwester zurückgekehrt. Zum Glück ist die 18f-Zollner sofort zur Stelle, um ihren selbstverschuldeten Pamela Anderson Klon ganz schnell wieder von der Bildfläche verschwinden zu lassen.
»So, Olga, vielen Dank, aber fürs Kellnern wirst du hier nicht bezahlt, das kriegen die starken deutschen Männer schon selbst hin!« Schau mal einer an! Die Sabine. Ganz schön schlagfertig die Frau, wer hätte das gedacht. Mit diesen Worten drückt sie der Olga ihren Nachwuchs Nummer drei auf den Arm und meint, dass der Junior dringend sein Mittagsschläfchen machen müsse.
Als wenig später die Olga den Garten samt Kleinkind wieder verlässt, würden die Frauen am liebsten applaudieren, während sich bei den Männern eine gewisse Enttäuschung auf den Gesichtern niederlegt. Schnell ist Mann aber wieder beim Thema Fußball angelangt und somit getröstet.
Mir wird das alles zu viel. Ich gehe zu Mark an den Männertisch und flüstere ihm ins Ohr, dass ich gehen möchte. Wir könnten einfach sagen, dass ich müde sei, das würde jeder verstehen. Die Hormone.
Entgeistert blickt er mich an und seine Bierfahne verschlägt mir fast den Atem.
»Was? Wieso? Och nö, Karin, ist doch grad so lustig hier. Du, der Rainer und ich haben beschlossen, dass wir uns zusammen `ne VIP-Dauerkarte holen, für die Arena. Toll, was?« Wenigstens hat sich mein besoffener Freund Reihenendhausbesitzer 18a-Schmidtke als neuen Spezl ausgesucht. Soll ich ihm etwa zu seiner guten Partie gratulieren, oder was erwartet der jetzt von mir?
Wortlos starre ich Mark an und frage mich, ob er schon immer so war und warum genau ich nochmal mit ihm zusammen bin.
Frustriert kehre ich zurück an meinen Frauentisch. Dort hat man sich mittlerweile auf ein neues Thema eingeschossen. Gesprächsfetzen über irgendeine nicht eingeladene Mutter von der hiesigen Grundschule, die in Vollzeit arbeitet, dringen zu mir. Ich habe dazugelernt und halte daher meine Klappe.
»Das merkt man der Lana aber total an, dass ihre Mama so selten zu Hause ist, mal ganz zu schweigen von den schulischen Leistungen. Gerade in der vierten Klasse, wo es doch um den Übertritt geht!«
»Also, wenn ich daran denke, wie oft ich mich mit dem Lenni noch hinsetzen und üben muss! Wie will die das denn bitte aufholen?«
(…oooh…)
»Und abends sind die Kinder ja auch total kaputt, da kriegst du doch nix mehr in die rein.«
(…oohh, ja…)
»Ja genau. Freizeit hat die auch keine, die Arme! Ich habe neulich versucht, die Hannah mit ihr zu verabreden, aber weil das arme Kind bis abends im Hort sein muss, geht das natürlich nicht, und weil die Mutter ja auch nie da ist.«
(…oooh, ja, ja…)
Es fällt mir schwer, mich da nicht einzumischen und denen was von modernen, berufstätigen Müttern zu erzählen. Insgeheim ist diese Unbekannte gerade dabei, meine allerallererste und allerallerallerbeste Freundin zu werden. Ich brauche unbedingt ihre Nummer. Aber die Nebengeräusche, die so gar nicht hierher in diese Unterhaltung passen, lenken mich ab.
(…oh ja! Ja! Ja! Ja!…)

Was zum Teufel ist das?

Und wo kommt das her? Ich versuche, die Geräuschquelle ausfindig zu machen, und stoße dabei auf die Handtasche, die zu meinen Füßen steht. Das ist aber nicht etwa irgendeine Handtasche, nein, das hier ist eine Balenciaga. Wer von denen hier hat so viel Geld und Geschmack?
»Entschuldigung? Kurze Frage? Wem gehört denn die Tasche hier?«
»Das ist meine«, antwortet Sabine Zollner aus 18f. Wow!
»Ja, also, da kommen so komische Geräusche raus.«
»Das kann gut sein, da ist das Babyphone drin. Das ist wahrscheinlich der Junior, der quengelt, weil er nicht einschlafen will! Schauen wir doch kurz nach.«  Sabine befördert eine Art Videoüberwachungsgerät aus ihrer exklusiven Tasche und stellt es auf den Tisch. Das Ding ist auf volle Lautstärke eingestellt. Das Farbbild dazu gestochen scharf. Markenqualität eben. Wie die Tasche.
»Guck, mal Sabine, ist das nicht die Olga?«, fragt die Caro. »Bringt die gerade den Junior ins Bett, oder was macht die da auf dem Wickeltisch …?«, aber weiter kommt sie nicht.
»Oh, ja, Baby, ja Baby, ja…«, ist Franks Stimme laut und deutlich zu hören.
Russen-Baby-Barbie hat den Junior offensichtlich bereits versorgt, der selig irgendwo anders schlummert und, so Gott will, von dieser Szene nichts mitbekommt. Olgas Fürsorge gilt jetzt nämlich voll und ganz dem Senior Frank, der mit runtergelassener Hose vor dem Wickeltisch steht, auf dem breitbeinig die Olga sitzt, solidarisch ebenfalls ohne Unterhose. Sportlich und ruckartig bewegt der Frank seine Hüften vor und zurück. Wenn das vorhin nicht derjenige war, der sich heimlich rausgeschlichen hat, zähle ich eins und eins zusammen.
Die Gespräche an unserem Tisch verstummen nacheinander und alle starren wie paralysiert auf den Mini-Monitor des Babyphones, wo der Vorstadtporno läuft. Selbst die Fußballprofis am Nachbartisch bemerken, dass hier etwas nicht stimmt, stellen ihre sportliche Fachsimpelei ein und blicken zu uns herüber. Unüberhörbares Gestöhne erfüllt die Grillgartenidylle. Niemand traut sich, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Fassungslos wandern die Blicke zwischen der betrogenen Ehefrau und dem Livestream hin und her. Die Spannung in der Luft ist zum Zerreißen. Was wird wohl gleich passieren? Ich rechne mit allem. Einem hysterischen Kreischanfall. Damit, dass sich die Sabine die Grillgabel schnappt und die beiden Hauptdarsteller eiskalt vor laufender Kamera niedermetzelt. Das wäre der Hammer auf YouTube! Aber stattdessen geschieht Folgendes: Die Sabine Zollner schaltet den Apparat mit ruhiger Hand aus, packt ihn zurück in ihre Luxushandtasche, erhebt sich mit den Worten: »Ich glaube, wir haben jetzt alle genug gesehen, hier sind schließlich noch Kinder«, vom Tisch und verschwindet in aller Ruhe, ohne den geringsten Anflug von Hysterie oder Eile, durch das kleine hintere Gartentor in Richtung 18f.
Allgemeine Schockstarre.
Claire macht dann den Anfang, indem sie das Ende einläutet und uns alle höflich, aber bestimmt nach Hause schickt. Die Eltern hätten ihren Kindern jetzt schließlich genug zu erklären.

Es ist kaum eine halbe Stunde her, da habe ich mir ein schnelles Ende dieser Veranstaltung gewünscht. Aber nicht um jeden Preis. 

Selbst eine Reihenendhaus-Vorstadt-Mutti hat es nicht verdient, so gedemütigt zu werden.

Cover by COMAKO DESIGN

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